Montag, 4. Februar 2013

Filmkritik: Coraline (2009)

Ein elfjähriges Mädchen findet einen Geheimgang, der in ein Paralleluniversum führt, in dem alles perfekt zu sein scheint. Klingt nach Kinderkram? Keineswegs! Henry Selicks Puppenanimationsfilm ist für Kinder sogar ein kleines bisschen zu spannend geraten... 

Die elfjährige Coraline zieht mit ihren Eltern in ein seltsames Haus mitten im Nirgendwo. Schnell stellt sich Langeweile ein, denn Mum und Dad haben nie Zeit für das Mädchen und Wybie, der seltsame Nachbarjunge, geht ihr schnell auf die Nerven. Doch eines Tages findet Coraline in dem verwinkelten Gebäude eine geheimnisvolle Tür, die in eine zauberhafte Parallelwelt führt: Hier sind ihre Eltern cool und lesen ihr jeden Wunsch von den Lippen ab, es gibt eine sprechende Katze, einen verzauberten Garten und spektakuläre Zirkusvorführungen. Doch warum haben alle Menschen in dieser Welt Knöpfe statt Augen? Bald muss Coraline herausfinden, dass hinter der perfekten Fassade ein dunkles Geheimnis lauert...

Henry Selick
Regisseur Henry Selick
Als mit Toy Story 1995 der erste abendfüllende Spielfilm erschien, der vollständig am Computer entstanden war, gingen viele davon aus, dass handgemachte Animationsfilme bald der Vergangenheit angehören würden. Wozu noch im aufwendigen Stop-Motion-Verfahren Knet- oder Puppenanimationen drehen, wenn am Computer doch alles so viel schneller und flüssiger geht? Doch einige Regisseure wollten sich einfach nicht von den traditionellen Techniken trennen und drehen selbst heute noch Bild für Bild mit kleinen handgefertigten Figuren. Einer von ihnen ist Henry Selick, der 1993 als Regisseur von Nighmare Before Christmas bekannt wurde, einem ungewöhnlich gruseligen Vertreter des Puppentrick-Genres, der auf einer Geschichte von Tim Burton basiert. Und auch Coraline, der rund 15 Jahre später entstand, ist offensichtlich eher an ein erwachsenes Publikum gerichtet.

Denn obwohl Coraline auf einem Kinderbuch von Neil Gaiman basiert und von der FSK ab sechs Jahren freigegeben wurde, ist der Film insgesamt doch zu unheimlich und spannend, um ihn wirklich reinen Gewissens für Zuschauer unter 12 Jahren empfehlen zu können. Aber alle anderen werden hier sicherlich ihre Freude haben. Denn Henry Selick macht so ziemlich alles richtig: Eine ungemein sympathische Protagonistin, viele abgedrehte Nebenfiguren und eine spannende, aber auch humorvolle Geschichte, die sich trotz ihrer phantastischen Prämisse mit sehr realen Ängsten auseinandersetzt, lassen nichts zu wünschen übrig. Zwar hat man zu Beginn schon ein wenig den Eindruck, dass sich Gaiman etwas von den Alice-Büchern von Lewis Carroll inspirieren ließ (ein Tunnel führt in eine fantastische Welt mit einer sprechenden Katze), doch im weiteren Verlauf bekommt die Story genug Eigenständigkeit, um hier keineswegs von einem simplen Abklatsch sprechen zu können.

Auch auf der technischen Ebene kann der Film durchweg überzeugen: Die Sets und Figuren sind sehr liebevoll entworfen, Regie, Kamera und Schnitt sind mit viel Kreativität umgesetzt und Komponist Bruno Coulais (u.a. bekannt für die Chormusik aus Die Kinder des Monsieur Mathieu) hat einen wunderschönen Score geschrieben, der hervorragend mit der grotesken Atmosphäre der Geschichte harmoniert. Aber auch an Selick geht das 21. Jahrhundert natürlich nicht ganz spurlos vorbei: Trotz aller Handarbeit hat am Ende der Computer dann doch noch ein bisschen nachgeholfen.

Herzerwärmende, beinahe kitschige Momente, wie sie bei den Kollegen von Disney und Pixar zum guten Ton gehören, sucht man in Coraline vergebens. Doch gerade das macht diesen Film so erfrischend anders. Eine rundum gelungener Animationsfilm mit Gothic-Touch!