Donnerstag, 6. September 2012

Filmkritik: Der Tod in Venedig (1971)

Vor 100 Jahren veröffentlichte der deutsche Autor Thomas Mann seine Novelle „Der Tod in Venedig“. Luchino Visconti versuchte sich 1971 an einer Verfilmung des Werkes, mit der ich mich heute beschäftigen möchte.

Dieses Review erzählt das Ende des Films, aber das tut bereits der Titel, daher kann man nicht wirklich von einem Spoiler sprechen.

„Der Tod in Venedig“ gehört zu den bekanntesten Werken Thomas Manns. Das Buch handelt von Gustav von Aschenbach, einem sehr erfolgreichen deutschen Autor, der in München lebt. Aschenbach ist ein ausgesprochen fleißiger, sehr auf die Form seiner Werke bedachter Künstler, dessen Arbeit sein ganzes Leben einnimmt und der daher zurückgezogen lebt. Als er am Münchener Nordfriedhof einen seltsamen Fremden in Wanderkleidung erblickt, der so schnell wieder verschwindet wie er aufgetaucht ist, ergreift Aschenbach die Reiselust, die ihn letztendlich nach Venedig führt. Im Hotel begegnet Aschenbach dem jugendlichen Polen Tadzio, dessen Schönheit ihn von Anfang an fasziniert. Da Aschenbach das Wetter nicht verträgt, will er einige Tage später wieder abreisen. Doch als dies durch eine falsche Gepäckaufgabe verhindert wird, ist er insgeheim froh, noch ein wenig mehr Zeit in der Nähe des Jünglings verbringen zu dürfen. Der Autor steigert sich immer tiefer in seine Gefühle hinein, spricht den Jungen jedoch niemals an. Auch die Stadt hat ein dunkles Geheimnis: Eine Cholera-Epidemie breitet sich aus und wird, um dem Tourismus nicht zu schaden, verheimlicht. Aschenbach erfährt davon, behält das Geheimnis aber für sich, da die polnische Familie sonst sicherlich abreisen würde. Aschenbachs Wahnsinn findet seinen Höhepunkt, als er beginnt, dem Jungen auf Schritt und Tritt zu folgen. Sein ganzes Leben kreist nur noch um Tadzio und so bemerkt er auch nicht, wie sich sein Gesundheitszustand immer mehr verschlechtert, bis er schließlich am Strand in einem Stuhl tot zusammensackt.
Neben der grundlegenden Handlung ist Thomas Manns Buch vor allem durch das hohe Niveau der Sprache, Aschenbachs Reflektionen seiner Gefühle, die prominente Todessymbolik und Motive aus der griechischen Mythologie interessant. Dies in einer Verfilmung umzusetzen ist natürlich ausgesprochen schwierig.Visconti hat sich für eine eher nüchterne Nacherzählung der Geschichte entschieden.

Inspiration: Gustav Mahler
An der grundlegenden Handlung wurde für den Film wenig geändert, dennoch gibt es einige Abweichungen: Thomas Mann ließ sich in der Beschreibung seiner Hauptfigur von dem österreichischen Komponisten Gustav Mahler inspirieren. Visconti spitzt dies zu, indem er Aschenbach von einem Autoren zu einem Komponisten macht und auch sein Aussehen deutlich an Mahler anlehnt. Selbst die Filmmusik besteht vollständig aus Mahlers Werken.
Aschenbachs Hintergrundgeschichte wird in Rückblenden erzählt und beschreibt einen Mann, der beruflich wenig erfolgreich ist und familiäre Schicksalsschläge erlitten hat. Der Protagonist trifft also schon psychisch angeschlagen in Venedig ein, wodurch seine Fallhöhe deutlich geringer ist als in Manns Novelle. Hierdurch werden auch die folgenden Ereignisse als reine Symptome relativiert, während es bei Thomas Mann keine Anzeichen dafür gibt, dass mit Aschenbach vor seinen Erlebnissen in Venedig irgend etwas nicht stimmte.
Ein interessantes erzählerisches Mittel ist, dass Visconti Aschenbachs Wahn mit Rückblenden von kunsttheoretischen Diskussionen kontrastiert, die Aschenbach mit seinem Kollegen Alfred führt. Die Dialoge sind hierbei aus Thomas Manns Roman Doktor Faustus entnommen.

Visconti hat sich leider dagegen entschieden, zu versuchen, bei Aschenbachs Erlebnissen in Venedig die Innensicht auf die Hauptfigur durch Voice-Over oder ähnliche Mittel zu ermöglichen. Aschenbachs Gefühle und Gedanken werden daher vor allem durch die Mimik des ausgezeichneten Hauptdarstellers Dirk Bogarde transportiert. Der eher nüchterne, fast triste Stil steht in deutlichem Gegensatz zum poetischen Schreibstil Thomas Manns. Selbst surreale, traumhafte und mystische Buchpassagen werden im Film mit einer beinahe dokumentarischen Bildsprache wiedergegeben. Weder die Todessymbolik, noch die Anspielungen auf die griechische Mythologie werden von Visconti übernommen, wodurch die Bedeutung einiger Szenen ohne Kenntnis der Vorlage nicht erkennbar ist. Statt den zunehmenden Realitätsverlust des alternden Künstlers selbst mitzuerleben, kann der Rezipient diesen also lediglich von außen beobachten.

Durch Viscontis realistische Erzählweise bleibt daher leider fast nur die grundlegende Handlung von Thomas Manns Novelle übrig, die außerdem in einem eher gemächlichen Erzähltempo nacherzählt wird. Dies ist freilich immer noch recht interessant und die hervorragenden schauspielerischen Leistungen der beiden Hauptdarsteller reißen einiges raus. Eine gelungene Verfilmung von Thomas Manns Novelle ist Viscontis Interpretation aber meiner Meinung nach nicht.