Sonntag, 30. Dezember 2012

Filmkritik: Väter und andere Katastrophen (2012)

Was ist witziger, als ein Vater der sich auf der Hochzeit seiner Tochter daneben benimmt? Zwei Väter, die sich auf der Hochzeit ihrer Tochter daneben benehmen! Das dachte sich zumindest der französische Regisseur Martin Valente und beschert uns eine gelungene Verwechslungskomödie.

François Berléand
Bernard (François Berléand) ist ein pedantischer, französischer Millionär, der seit Jahren in England lebt und dennoch für jeden Dialog einen Dolmetscher beschäftigt. Nach dem Tod seiner Frau findet er in einem Kästchen Briefe, die anscheinend von einer in Frankreich lebenden Tochter stammen, von der Bernard bisher nichts wusste. Bernard beschließt zu versuchen, Chloé zu finden. In ihrem ehemaligen Wohnort in Frankreich trifft Bernard den arbeitslosen Koch Gustave (Gérard Jugnot), der glaubt, Chloés Vater zu sein, sich mit ihr aber zerstritten hat.
Es folgt eine Reihe von Verwechslungen: Gustave hält Bernard für einen potenziellen Autokäufer und nach einigem hin und her fahren beide gemeinsam nach Bordeaux, um die verlorene Tochter aufzusuchen, ohne, dass Bernard Gustave über seine tatsächliche Identität aufklärt. Wie es der Zufall so will, sucht Chloé (Olivia Ruiz) gerade für ihre anstehende Hochzeit mit einem amerikanischen Tennisprofi (Jamie Bamber) einen Schauspieler, der ihren Vater verkörpert. Bernard, der nicht begreiflich machen kann, dass er tatsächlich ihr Vater ist, bekommt nach dem Ausschalten eines Konkurrenten die Rolle. Gustave wird hingegen am Tag der Hochzeit für einen Aushilfskoch gehalten und versucht seinerseits, die Gunst von Chloé zurückzugewinnen...

Verwechslungskomödien sind meistens eine endlose Aneinanderreihung von Unwahrscheinlichkeiten. Neben einem Zuschauer, der sich dennoch auf das Szenario einlässt, ist eine Inszenierung von Vorteil, die den Zuschauer durch viel Charme und eine schnelles Pacing gar nicht erst dazu verleitet, näher über die ganze Geschichte nachzudenken. Martin Valente schafft zum Glück beides. Sein mit witzigen Dialogen und vielen Details gespicktes Drehbuch bekommt zwar nie eine sonderliche Tiefe, schafft es aber ohne nennenswerte Durchhänger von vorne bis hinten zu unterhalten. Besonders die vielen eingestreuten Andeutungen darauf, wer von den beiden Männern nun der tatsächliche Vater sein könnte, macht den Film selbst bei einer Zweitsichtung noch interessant, da es beinahe unmöglich ist, alle Anspielungen beim ersten Mal zu durchschauen. Vorhersagbarkeit der Handlung und eindimensionale Nebenfiguren sind die andere Seite der Medaille, aber in diesem Genre durchaus verzeihlich.
Auch die Regie des Franzosen, der bereits 2003 mit der Komödie Die Amateure in Erscheinung trat, kann die meiste Zeit überzeugen, auch wenn einige wenige Szenen, wie Bernards Versuch, ohne Berührung der Linien das Fliesenmuster der Kirche zu überqueren, etwas nach verschenktem Potenzial aussehen; das hätte ein anderer Regisseur bestimmt noch witziger hinbekommen.

Gérard Jugnot
Die Bilder von Kameramann Pierre-Yves Bastard (JCVD, 2008) sind hingegen makellos in sommerlichen Farben eingefangen. Die beiden wirklichen Gründe für das Funktionieren dieses Filmes sind aber eindeutig vor der Linse zu finden: Gérard Jugnot und François Berléand sind bereits in dem beliebten (aber auch etwas kitschigen) Musikfilm Die Kinder des Monsieur Mathieu (2004) als unkonventioneller Lehrer und spießiger Schulleiter gegeneinander angetreten. Die Idee, diese beiden Figuren (mit leichten Änderungen) als ungleiches Paar in ein Komödienformat zu übertragen, funktioniert ausgezeichnet. Die beiden Protagonisten wachsen einem sofort ans Herz und alleine das hervorragende Schauspiel der Darsteller lässt einen die kleinen Schwächen des Filmes schnell vergessen.

Bei seiner deutschen Kinoauswertung diesen Frühling konnte Väter und andere Katastrophen dennoch nur wenige tausend Zuschauer in die Säle locken, Freunde französischer Komödien sind wohl lieber in Ziemlich beste Freunde gegangen. Vielleicht ist Martin Valentes nächster Streich ja erfolgreicher. Das Potenzial dafür hat er jedenfalls.

Väter und andere Katastrophen ist eine gelungene Verwechslungskomödie, die zwar das Genre keineswegs revolutioniert, aber durch ein intelligentes Drehbuch und die beiden ausgezeichneten Hauptdarsteller dennoch hervorragend unterhält. 


Urheber des Fotos von François Berléand ist das Studio Harcout Paris. Es seht unter der Creative-Commons-Lizenz Namensnennung 3.0 Unported (CC BY 3.0).
Urheber des Fotos von Gérard Jugnot ist Esby. Es seht unter der Creative-Commons-Lizenz Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Unported (CC BY-SA 3.0).

Freitag, 21. Dezember 2012

Das Filmjahr 2012: Innovation? Fehlanzeige!

Das Jahr ist fast vorüber, Zeit einen Blick zurückzuwerfen: Was hatte das vergangene Kinojahr an neuen Stoffen zu bieten? Welche Filme konnten die Zuschauer besonders begeistern? Und hat der 3D-Boom nachgelassen?

Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht. Dies ist der erste Gedanke, der einem kommt, wenn man einen Blick auf die Liste der 25 erfolgreichsten Filme 2012 wirft. Denn Innovatives gab es in den großen Multiplexen kaum zu sehen.

Alte Bekannte: Men in Black 3
© 2012 Sony Pictures Home Entertainment
Acht Filme der Top-25 waren direkte Sequels eines oder mehrerer Vorgänger: American Pie: Das Klassentreffen, Breaking Dawn – Bis(s) zum Ende der Nacht – Teil 2, The Dark Knight Rises, The Expendables 2, Ice Age 4 – Voll verschoben, Madagascar 3: Flucht durch Europa, Men in Black 3, und 96 Hours – Taken 2 erzählten neue Episoden aus dem Leben ihrer beliebten Protagonisten. Auf die Bequemlichkeit der Zuschauer kann sich die Filmindustrie anscheinend verlassen: Lieber bekannte Themen und Charaktere, anstatt sich in eine neue Welt entführen zu lassen.
Dazu passt auch das Bedienen von bekannten Franchises: Sechs Filme führten zwar nicht direkt die Geschichte eines anderen Werkes fort, bedienten sich aber an bereits vorhandenen Charakteren, Welten oder Erzählstrukturen, um kein hohes Risiko einzugehen: The Amazing Spider-Man, Marvel’s The Avengers, Der Hobbit – Eine unerwartete Reise, Prometheus – Dunkle Zeichen, Skyfall und Step Up: Miami Heat sind hier zu nennen.

Die übrigbleibenden 16 Filme standen zwar in keinem Zusammenhang zu vorherigen Kinoproduktionen, aber auch hier versuchten die Studios meistens mit dem Rückgriff auf bereits Bekanntes die Zuschauer auf ihre Seite zu bekommen. Während Türkisch für Anfänger an dem Erfolg der gleichnamigen Fernsehserie anknüpfte, adaptierten vier Werke bekannte literarische Vorlagen: Die Macher von Fünf Freunde machten es sich mit der erfolgreichen Kinderbuchreihe am einfachsten, aber auch die Produzenten von Die Tribute von Panem – The Hunger Games und Cloud Atlas setzten Bücher um, die zumindest unter Fans der jeweiligen Genres recht erfolgreich waren. Und auch Snow White and the Huntsman hat mit seiner Neuinterpretation der Schneewittchen-Geschichte auf die internationale Bekanntheit des Märchens gesetzt.

Aber es gibt natürlich auch Ausnahmen: Der französische Überraschungserfolg Ziemlich beste Freunde basiert zwar auf der Biografie von Pozzo di Borgo, diese kam in Deutschland aber erst nach Kinostart in die Buchhandlungen. Und auch die Kinoadaption der amerikanischen Fernsehserie Dark Shadows konnte in Deutschland auf keine Fangemeinde hoffen: Diese wurde hier nie gezeigt.
Echte Innovation hatten aber letztendlich tatsächlich nur vier Filme zu bieten: ted, Merida, Der Diktator und Hotel Transsilvanien kommen ohne eine fremde Vorlage aus. Die ersten drei konnten wohl vor allem durch den Bekanntheitsgrad der Autoren beim Publikum punkten, während Hotel Transsilvanien anscheinend mit der humorvollen Abarbeitung an den mannigfachen Horrorfilm-Klischees überzeugte.
Innovation ist beim Publikum also leider nur in Ausnahmefällen gefragt, vor allem Komödien scheinen durch Mundpropaganda manchmal für Überraschungen sorgen zu können.

Auch 3D-Filme sind mannigfach bei den erfolgreichsten Produktionen vertreten. Die Überlegung vieler Film-Fans, dass es sich bei dem durch Avatar ausgelösten 3D-Boom um einen kurzfristigen Trend handelt könnte, lässt sich also nicht bestätigen. Wie auch schon in den Jahren 2010 und 2011 waren 10 der 25 erfolgreichsten Filme im neuen Format in den Kinos zu sehen. Ob diese allerdings ohne die Technik vielleicht genauso erfolgreich gewesen wären, ist schwer zu beantworten. Dennoch ist wohl davon auszugehen, dass auch im Jahr 2013 die dritte Dimension eine große Rolle im Blockbuster-Kino spielen wird. Ob sich hierbei die neue Bildwechselfrequenz von 48 Bilder/Sekunde, die beim Hobbit erstmals in vielen Kinos zu sehen ist, ähnlich durchsetzen wird, bleibt aber abzuwarten.

Insgesamt hatte das Filmjahr 2012 wenige Überraschungen zu bieten. Hinter dem französischen Erfolg Ziemlich Beste Freunde finden sich vor allem direkte Fortsetzungen oder neue Geschichten aus bekannten Franchises. Es soll hier aber kein falscher Eindruck entstehen: Natürlich hat es in Wirklichkeit unzählige innovative Filme gegeben – nur sehen wollte sie anscheinend keiner.


Dienstag, 11. Dezember 2012

Filmkritik: Rat mal, wer zum Essen kommt (1967)

Mitte der 60er Jahre, als in den Südstaaten der USA noch Rassentrennung herrschte, war Rassismus im liberalen Großbürgertum New Yorks schon lange kein Thema mehr... oder? Stanley Kramers unterhaltsamer Blick hinter die Fassade der Toleranz kam heute vor 45 Jahren in die amerikanischen Kinos.

(c) Sony Pictures Home Entertainment
Joanna (Katharine Houghton) ist überglücklich: Sie hat auf einer Hawaii-Reise den Mann ihrer Träume kennen gelernt: Dr. John Prentice (Sydney Poitier) ist gutaussehend, gebildet, charismatisch, engagiert und wohlhabend; der perfekte Schwiegersohn. Die Verlobung lässt nicht lange auf sich warten, doch als Joanna den zukünftigen Ehemann ihren Eltern vorstellt, sind diese nicht gerade begeistert. Denn auch wenn sie natürlich gegen jegliche Diskriminierung sind, haben sich Christina (Katharine Hepburn) und Matt Drayton (Spencer Tracy) den zukünftigen Mann ihrer Tochter doch irgendwie... weißer vorgestellt. Als Joanna dann auch noch spontan Johns Eltern zum Abendessen einlädt, sind Konflikte vorprogrammiert...

Auch wenn Stanley Kramers Spielfilm als ein Plädoyer gegen den Rassismus bezeichnet werden kann, erwartet den Zuschauer hier kein schwergewichtiges Drama, sondern trotz einiger ernster Momente eher ein leichtfüßiger Unterhaltungsfilm. Dieser punktet vor allem mit seiner Besetzung: Denn bis in die Nebenrollen gibt es hier nur großartige Schauspieler zu bewundern, allen voran natürlich Katharine Hepburn und Spencer Tracy als Elternpaar. Lediglich Katharine Houghton als Joanna bleibt ein wenig blass und nervt sogar gelegentlich mit ihrer Naivität, weshalb man sich manchmal fragt, was John eigentlich an ihr findet.

Neben den Darstellern glänzt Rat mal, wer zum Essen kommt vor allem mit seinen pointierten Dialogen, die einen immer wieder zum Schmunzeln bringen und zurecht mit dem Oscar ausgezeichnet wurden. Auch die Charakterisierungen der einzelnen Figuren sind sehr gelungen und teilweise unerwartet: So ist die farbige Angestellte der Familie die rassistischste Figur von allen, während ein befreundeter katholischer Priester die Eltern dazu auffordert, Toleranz nicht nur zu fordern, sondern auch zu leben.

Rat mal, wer zum Essen kommt ist deutlich ein Produkt seiner Zeit: So ist der Konflikt zwischen Vorurteilen und Toleranz auch ein Konflikt zwischen den Generationen: Denn während die Eltern der beiden Verlobten ihre Vorbehalte haben, sehen Joannas Freunde gar kein Problem und auch Joanna selbst kommt bis zur Aussprache überhaupt nicht der Gedanke, dass ihre Eltern irgendetwas gegen die Hochzeit haben könnten.
Auch die zur Zeit der Dreharbeiten in vollem Gange befindliche Bürgerrechtsbewegung wird thematisiert, so fragt die Hausangestellte an einer Stelle genervt, ob denn Martin Luther King auch noch aufkreuzen würde. Noch während der Film in den amerikanischen Kinos lief, wurde der schwarze Bürgerrechtler ermordet, weshalb die Szene herausgeschnitten und erst bei späteren Veröffentlichungen wieder hinzugefügt wurde. Ein weiterer Dialog, bei dem der Film von der Geschichte überholt wurde, blieb jedoch bestehen: Die Aussage von Johns Vater, dass diese Ehe in 16 oder 17 Staaten verboten sei, war zum Zeitpunkt der Veröffentlichung schon nicht mehr aktuell: Der Oberste Gerichtshof hatte die rassistische Gesetzgebung für nicht verfassungsgemäß erklärt.

Wir wären natürlich nicht in Hollywood, wenn die ganze Geschichte nicht kontinuierlich auf ein Happy End zusteuern würde. So wird das titelgebende Abendessen auch nicht zu einem Eklat à la Der Gott des Gemetzels, sondern endet versöhnlich. Die schließende Abschlussrede von Spencer Tracy ist durchaus bewegend. Wenn man bedenkt, dass der Schauspieler zu diesem Zeitpunkt bereits schwer krank war und somit jeder am Set wusste, dass dies die letzten Worte sein würden, die er vor laufender Kamera spricht, bekommt sie auch noch zusätzliches Gewicht. Zum Glück verzichtet Kramer hier auf kitschige Musik, weshalb der Monolog trotz seiner an eine Agatha-Christie-Verfilmung erinnernden Theaterhaftigkeit funktioniert – nicht zuletzt natürlich auch wieder durch die großartigen schauspielerischen Leistungen.

Insgesamt ist Rat mal, wer zum Essen kommt zu oberflächlich, um als ernstzunehmende Abrechnung mit dem Rassismus zu funktionieren. Dennoch handelt es sich um gelungenes Mainstream-Kino, das vor allem durch seine hervorragenden Schauspieler und Dialoge auch fast ein halbes Jahrhundert später noch ausgezeichnet unterhält.