Donnerstag, 17. Oktober 2013

Filmkritik: Gravity (2013)

Der Weltraum-Katastrophenfilm Gravity hat in den USA mit einem Box Office von 56 Millionen Dollar am Startwochenende einen der besten Herbststarts aller Zeiten hingelegt. Regisseur Alfonso Cuarón beweist, dass es kein bekanntes Franchise braucht, um mit einem Science-Fiction-Film Erfolg zu haben und schafft zudem den visuell beeindruckendsten Film des Jahres.

Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht. Wie ich bereits in meinem Jahresrückblick 2012 ausführlicher thematisiert habe, trifft dieses Sprichwort leider auch auf das Mainstream-Kino zu: Die meisten der erfolgreichsten Filme des Jahres sind direkte Fortsetzungen anderer Filme oder stützen sich auf bekannte Franchises. Auch in diesem Jahr setzt sich dieser Trend fort: An den amerikanischen Kinokassen sind die sieben erfolgreichsten Filme des Jahres ausnahmslos Sequels oder greifen auf bereits bekannte Figuren zurück. Erst danach kommen mit Die Croods, Taffe Mädels und World War Z Filme, die eine (mehr oder weniger) neue Geschichte erzählen.

Man kann jedoch den Filmproduktionsfirmen nicht vorwerfen, es nicht zu versuchen. Wenn man nur das Science-Fiction-Genre betrachtet, gab es in diesem Jahr fünf große Produktionen, die ihre Zuschauer tatsächlich in eine unbekannte Welt entführten. Das Publikum dankte den Studios diesen Mut jedoch nicht: Oblivion, After Earth und Elysium waren relativ deutliche Flops, während Pacific Rim zumindest auf den asiatischen Märkten zum Erfolg wurde. Ausgerechnet im normalerweise eher ruhigen Oktober hat sich mit Gravity nun jedoch endlich ein Kassenschlager unter die innovativeren Filme des Genres gesellt: In nur zwei Wochen hat der Film auf dem amerikanischen Markt bereits mehr eingespielt als jedes andere der vier genannten Werke. Zu tun hat dies wohl vor allem mit den fast ausschließlich positiven Rezensionen, die der Film seit seiner Premiere auf den Filmfestspielen in Venedig erhalten hat. Die amerikanische Website Rotten Tomatoes verzeichnet 98 % an positiven Kritiken und listet Gravity damit als einen der am besten rezensierten Filme des Jahres.

Sandra Bullock
Die grundlegende Handlung des Films ist schnell erzählt: In einer Version der nahen Zukunft, in der das amerikanische Space-Shuttle-Programm nicht eingestellt wurde, hat die Mission STS-157 den Auftrag, Wartungsarbeiten am Hubble Weltraumteleskop auszuführen. Für den Astronauten Matt Kowalski (George Clooney) ist es der letzte Ausflug ins All, weshalb er beim Weltraumspaziergang vor allem die Aussicht genießt. Die Medizinerin Ryan Stone (Sandra Bullock) hat hingegen mit Übelkeit zu kämpfen; sie ist das erste Mal im Weltraum und noch nicht an die Schwerelosigkeit gewöhnt. Plötzlich kommt es zu einem folgenschweren Zwischenfall: Eine Trümmerwolke zerstörter Satelliten bewegt sich mit hoher Geschwindigkeit auf die Astronauten zu. Der Weltraumspaziergang wird abgebrochen, doch es ist zu spät: Der Einschlag der Trümmer hat verheerende Auswirkungen, in deren Folge Stone unkontrolliert in den Weltraum geschleudert wird...

Regisseur Alfonso Cuarón
Vor allem die ersten Minuten dieses Films werden fraglos in die Filmgeschichte eingehen. Regisseur Alfonso Cuarón und Kameramann Emmanuel Lubezki haben bereits in ihrer Inszenierung von Children of Men gezeigt, wie gekonnt sie es verstehen, Action-Szenen mit einer dynamischen Steadicam und so wenig Schnitten wie möglich zu inszenieren und diesen dadurch eine stark spannungssteigernde Unmittelbarkeit zu verleihen. Auch in Gravity machen sie von dieser Technik regen Gebrauch und durch die schwerelose Eleganz, mit der die Kamera durch das All gleitet, wirken diese minutenlangen Einstellungen noch beeindruckender. Zusammen mit den ausgezeichneten Special Effects und dem sehr guten Einsatz von 3D wird ein Kinoerlebnis erzeugt, das es in dieser Form noch nicht gegeben hat: In einer atemberaubenden Achterbahnfahrt durch den Weltraum steigt der Adrenalinspiegel merklich in die Höhe und man fühlt sich beinahe so, als würde man selbst jederzeit in der Gefahr stehen, in die Einsamkeit des Weltalls abzudriften. Auch im weiteren Verlauf der Handlung sind es immer wieder diese beinahe schnittfreien Action-Sequenzen, die wirklich restlos überzeugen können.

Positiv zu erwähnen ist auch der hochgradige Realismus, der den Film stark von anderen Vertretern des Genres, wie z.B. den aktuellen Filmen des Star-Trek-Franchises, abhebt. Anstatt eine ferne Zukunft mit etlichen technischen Weiterentwicklungen zu zeigen, wird sich stark an der tatsächlichen aktuellen Raumfahrttechnik orientiert. Egal ob Raumanzüge, Werkzeuge oder die Internationale Raumstation ISS, alles sieht weitgehend so aus, wie dies auch in der Wirklichkeit der Fall ist, weshalb man darüber debattieren könnte, ob es sich überhaupt um Science Fiction handelt und nicht eher um ein Action-Drama, das einfach nur im Weltall spielt. Auch ungewöhnlich ist, dass Gravity tatsächlich beachtet, dass es im Weltraum keinen Schall gibt. Bei Außenaufnahmen ist ausschließlich das zu hören, was die Astronauten in ihren Raumanzügen akustisch wahrnehmen können: Den eigenen Atem, die Technik des Anzuges und die Funksprüche der Kollegen. Die zerstörerischen Auswirkungen der Trümmereinschläge sind nur dann zu hören, wenn durch sie die Raumanzüge der Protagonisten in Schwingung versetzt werden.
Dennoch kommt der Film natürlich nicht ganz ohne künstlerische Freiheiten aus: So befindet sich beispielsweise das Hubble fälschlicherweise in direkter Nähe zur Internationalen Raumstation, die Auswirkungen des Satelliten-Zwischenfalls auf die Funkkommunikation werde übertrieben dargestellt und viele Szenen entsprechen nicht ganz den in der Schwerelosigkeit gültigen physikalischen Gesetzen. Dennoch kann Gravity wohl die realistischste Darstellung der Raumfahrt seit Apollo 13 attestiert werden.

George Clooney (2009)
Leider gibt es dennoch einige Punkte, die verhindern, dass man den Film tatsächlich als ein Meisterwerk bezeichnen könnte. Letztlich handelt es sich lediglich um einen Katastrophenfilm im Weltall: Die spektakulären Szenen werden durch eine recht simple Zurück-Nach-Hause-Dramaturgie aneinandergereiht, ohne dass jemals der Versuch unternommen wird, dem Film etwas mehr Tiefe zu verleihen. Auch wird dem Publikum kaum die Möglichkeit gegeben, die Einsamkeit und Lebensfeindlichkeit des Weltraums auf einer emotionalen Ebene nachzuvollziehen. Wenn Stone zu Beginn des Films alleine vom Shuttle abtreibt und Gefahr läuft, verloren zu gehen, spielt Bullock dies zwar durchaus panisch, dennoch überträgt sich leider durch die actionbetonte Inszenierung kaum das Gefühl von Verzweiflung und Todesangst auf den Zuschauer, wie es in solch einer Szene eigentlich nötig wäre. Noch schlimmer ist es bei der Figur von George Clooney, der niemals seine Coolness verliert und so sehr oberflächlich bleibt. Spätere Versuche, zumindest Ryan Stone mehr Tiefe zu verleihen, wirken hingegen unheimlich unbeholfen: Die Geschichte einer verlorenen Tochter und die Gespräche über dieses Thema wirken unglaubwürdig und kalkuliert. Der traurige Höhepunkt findet sich relativ spät im Film, wo ein Funkkontakt zur Erde zu einer berührend gemeinten aber insgesamt eher peinlichen Szene führt, die nur durch Sandra Bullocks Schauspielkünste vor der völligen Lächerlichkeit bewahrt wird.

So ist Gravity insgesamt ein ziemlich zweischneidiges Schwert. Während Inszenierung, Kamera-Arbeit und Spezialeffekte an Perfektion grenzen und den Action-Szenen eine unglaublich intensive Wirkung verleihen, hat das Drehbuch zu viele Schwächen, um den Film als das Meisterwerk bezeichnen zu könne, als das es vielerorts gehandelt wird. Wegen der atemberaubenden Bilder und der hohen Spannung sollte man sich Gravity dennoch unbedingt auf der großen Leinwand ansehen.

Trailer:


Urheber des Fotos von Sandra Bullock ist Richard Goldschmidt. Es steht unter der Creative-Commons-Lizenz Namensnennung 3.0 Unported (CC BY 3.0)
Urheber des Fotos von Alfonso Cuarón ist Gage Skidmore. Es steht unter der Creative-Commons-Lizenz Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Unported (CC BY-SA 3.0)
Urheber des Fotos von George Clooney ist Nicolas Genin. Es steht unter der Creative-Commons-Lizenz Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.0 US-amerikanisch (nicht portiert) (CC BY-SA 2.0)