Im Dezember bringt Martin Scorsese The Wolf of Wall Street in die Kinos, bei dem zum fünften Mal Leonardo DiCaprio die Hauptrolle in einem Film des berühmten Regisseurs übernehmen wird. Erstmals arbeiteten die beiden in dem Historienfilm Gangs of New York zusammen, den ich mir heute einmal näher angucken möchte.
Leonardo DiCaprio (2002)
New York, 1846. Das ärmliche Viertel Five Points wird von verfeindeten Gangs beherrscht, während die Polizei hier nur wenig Macht hat. Eines Tages kommt es auf dem zentralen Platz des Viertels zu einer Auseinandersetzung zwischen den fremdenfeindlichen Natives und den vor allem aus irischen Einwanderern zusammengesetzten Dead Rabbits. Am Ende der blutigen Schlacht wird der Anführer der Dead Rabbits, Priest Vallon (Liam Neeson), vom Anführer der Natives, William "The Butcher" Cutting (Daniel Day-Lewis) getötet, wodurch Cutting die Macht über das Viertel erlangt. Vallons Sohn Amsterdam wird infolge des Todes seines Vaters in eine Besserungsanstalt auf Blackwell's Island gebracht, wo er die nächsten 16 Jahre verbringt. Endlich wieder auf freiem Fuß, will Amsterdam (Leonardo DiCaprio) den Tod seines Vaters rächen. Doch anstatt ihn aus einem Hinterhalt zu töten, beschließt Amsterdam, zuerst das Vertrauen des Butchers zu gewinnen...
Bei der Oscar-Verleihung 2003 war Gangs of New York in zehn Kategorien nominiert, doch gewann schließlich keine einzige der begehrten Trophäen. Tatsächlich Martin Scorseses 18. Spielfilm kein Meisterwerk geworden. So wirkt die Inszenierung seltsam uneinheitlich: Während einige Szenen, wie die Schlacht zu Beginn des Films, durch Zeitlupenaufnahmen und eine moderne Musik stark stilisiert sind, wird sich für die meiste Zeit des Films dann doch für einen eher naturalistischen Stil entschieden. Auch die Geschichte wirkt stellenweise etwas unausgegoren. Während eigentlich der Konflikt zwischen Amsterdam und Cutting im Mittelpunkt stehen sollte, verliert sich der Film immer wieder in Nebenschauplätzen, die für die Geschichte eigentlich nicht besonders wichtig sind. Schließlich ist auch die Filmmusik von Howard Shore eher austauschbar und das im Abspann zu hörende Titellied von U2 sogar ausgesprochen unpassend.
Daniel Day-Lewis (2008)
Dennoch ist Gangs of New York alles andere als ein schlechter Film, denn trotz seiner Laufzeit von rund 160 Minuten wird der Historienepos zu keinem Zeitpunkt langweilig. Dies liegt unter anderem an den herausragenden Schauspielern. Vor allem Daniel Day-Lewis verkörpert den Butcher mit einer faszinierenden Mischung aus Aggressivität und Charisma, die ungeheuer fesselnd ist. So wird jede Szene, in der diese Figur auftaucht, automatisch zu einem eindrücklichen Erlebnis. Leonardo DiCaprio verblasst da im Vergleich fast ein wenig, legt aber dennoch eine überzeugende Leistung ab, vor allem wenn man bedenkt, dass er zu diesem Zeitpunkt noch vor allem als Schönling wahrgenommen wurde und nicht als ernstzunehmender Charakterdarsteller. Aber auch die vielen Nebenrollen sind perfekt besetzt. Cameron Diaz, John C. Reilly, Jim Broadbent, Gary Lewis und Brendan Gleeson schaffen es, ihre Figuren glaubwürdig und charismatisch zu verkörpern.
Wie es sich für einen Historienfilm gehört, ist auch die Optik ein deutlicher Pluspunkt. Das riesige in den Cinecittà-Studios in Rom errichtete Set, das Szenenbild und die Kostüme sind ausgesprochen gelungen und werden durch Kameramann Michael Ballhaus in wunderschönen Bildern eingefangen. Auch der für den Regisseur typische häufige Einsatz von langen Kamerafahrten ist hier hervorzuheben, der dem Film eine besondere Sogwirkung verleiht.
Insgesamt ist Gangs of New York daher zwar kein perfekter, aber dennoch ein sehr ansehnlicher und unterhaltsamer Historienfilm geworden. Wer sich für das Genre erwärmen kann und bei schönen Bildern und tollen Schauspielern auch mal über das eine oder andere Manko hinwegsehen kann, sollte hier auf jeden Fall einen Blick riskieren.
Hinweis:
Wer sich den Film auf BluRay zulegen möchte, sollte auf jeden Fall zur Remastered Deluxe-Edition greifen, da diese ein deutlich besseres Bild besitzt als die ursprüngliche Veröffentlichung.
Quentin Tarantino, wohl einer der bekanntesten Regisseure der Gegenwart, ist nunmehr seit 20 Jahren im Filmgeschäft. Und so unterschiedlich seine Filme auch zu sein scheinen, sind sie doch alle eine Liebeserklärung an die Genre-Filme der 60er und 70er Jahre. Mit Django Unchained hat Tarantino sich nun dem Spaghetti-Western angenommen.
Die Südstaaten der USA im Jahr 1858. Der deutschstämmige Kopfgeldjäger Dr. King Schultz (Christoph Waltz) befreit den Sklaven Django (Jamie Foxx) aus einem Transport, um ihm ein Angebot zu machen: Django soll ihm helfen, die berüchtigte Brittle Brothers zu finden, in deren Besitz er sich einst befand, und im Gegenzug schenkt ihm Schultz die Freiheit. Django willigt ein und tatsächlich sind die gesuchten Banditen bald Geschichte. Django ist frei, doch er hat eine schwierige Aufgabe vor sich: Er will seine Frau Broomhilda (Kerry Washington) finden und befreien, die an einen anderen Besitzer als er selbst verkauft wurde. Schultz, der sich an die Figur der Brunhilde aus der Nibelungensage erinnert fühlt, beschließt, Django dabei zu helfen. Es stellt sich jedoch heraus, dass sich Broomhilda im Besitz des großen Plantagenbesitzers Calvin Candie (Leonardo DiCaprio) befindet, der sicher nicht bereit wäre, seine Sklavin an irgendwelche dahergelaufenen Cowboys zu verkaufen. Schultz und Django entwickeln daher einen ausgeklügelten Plan...
Django Unchained hat viel mit Quentin Tarantinos letztem Film, Inglourious Basterds(2009), gemeinsam. Auch dieser hatte bereits einige Szenen, die deutlich vom Genre das Spaghetti-Westerns inspiriert waren, aber die größere Gemeinsamkeit ist mit Sicherheit das Thema der Rache der Unterdrückten. Während es bei den Basterds die Juden sind, die sich mit brutalsten Mitteln am Nazi-Regime rächen, ist es nun der Sklave, der bei den weißen Sklavenhaltern ein Blutbad anrichtet. Letzteres ist keineswegs eine Übertreibung, weshalb die FSK-16-Freigabe mich im Nachhinein etwas überrascht, denn im letzten Drittel spritzt der Lebenssaft in solchen Mengen, dass es schon an Unappetitlichkeit grenzt. Man darf sich natürlich fragen, ob diese grafische Darstellung der Gewalt in der zweiteiligen Martial-Arts-Hommage Kill Bill (2003/2004) nicht etwas besser aufgehoben war, als in diesem modernen Western, doch das ist letztendlich wahrscheinlich Geschmackssache. Tarantino macht aber zum Glück nicht den Fehler, diese verharmlosende Darstellung von Gewalt auch auf das Thema der Sklaverei anzuwenden: Alle Szenen, in denen Sklaven Gewalt angetan wird, sind von einer sehr ernsten Stimmung geprägt und erzeugen ihre Wirkung eher durch das Nicht-Zeigen der Grausamkeiten. Hierbei wird sich nicht immer an die historischen Tatsachen gehalten, so sind die gezeigten Kämpfe zwischen Sklaven zur Belustigung ihrer Besitzer eine Erfindung der Populärkultur, doch spätestens seit Inglourious Basterds müsste eigentlich klar sein, dass es Tarantino nicht darum geht, Geschichte zu erzählen, sondern Geschichten.
Doch das klingt alles bisher viel zu ernst, um Django Unchained gerecht werden zu können. Denn der Film ist ausgesprochen witzig, vielleicht sogar der witzigste Film, den Tarantino seit Pulp Fiction (1994) abgeliefert hat. Der größte Teil des Humors ist hierbei Christoph Waltz zuzuschreiben. Schon bei Inglourious Basterds hatte der in Wien geborene Schauspieler einige ulkige Momente, doch in diesem Film ist fast jede Szene, in der der ehemalige Zahnarzt Schultz auftritt, ein absolutes Highlight – und das sind die meisten. Natürlich hat der Humor auch viel mit dem exzellenten Drehbuch Tarantinos zu tun, doch meistens ist gar nicht mal so witzig, was Schultz sagt, sondern wie er es sagt. Dass Waltz daher erneut für den Oscar als bester Nebendarsteller nominiert wurde, ist absolut nachzuvollziehen. Aber auch die anderen Darsteller machen einen ausgesprochen guten Job. Foxx spielt Django sehr überzeugend, seine ausdrucksstarken Augen vermitteln viele Emotionen, Kerry Washington bringt die Angst und die Schmerzen, denen ihre Figur ausgesetzt ist, absolut glaubwürdig rüber und Leonardo DiCaprio darf endlich mal einen Bösewicht spielen, den er wunderbar schmierig auf die Leinwand bringt. Eine interessante Rolle spielt auch Samuel L. Jackson, der mit dem schwarzen Hausdiener Stephen eine Figur verkörpert, die fast noch verachtenswerter ist, als der Sklavenhalter selbst.
Und auch ansonsten gibt es nichts zu meckern: Der Soundtrack ist mal wieder erste Sahne, auch wenn es erst ein wenig ungewohnt ist, in einem Western auch einmal Hip Hop zu hören zu kriegen. Die Kameraarbeit von Robert Richardson ist routiniert und es ist schön zu sehen, dass es immer noch Filmemacher gibt, die lieber mit Film- als mit Digitalkameras drehen, was dem Look sehr zuträglich ist. Auch die Ausstattung ist sehr gelungen, egal ob es darum geht, die Hässlichkeit von kleinen Dörfern des Wilden Westens oder den Prunk von Candies Anwesen in Szene zu setzen. Die Laufzeit von fast drei Stunden ist zwar ungewöhnlich lang, aber es gibt keine einzige überflüssige Szene, weshalb sich auch keinerlei Langatmigkeit einstellen kann. Unnötige oder gezwungen coole Dialoge, wie sie zum Beispiel in Death Proof (2007) auftauchen, sind hier zum Glück nicht anzutreffen.
Insgesamt kann man nur sagen: Tarantino hat es wieder mal geschafft. Auch wenn die Gewaltdarstellungen ruhig einen Grad weniger explizit hätten ausfallen können, ist Django Unchained mal wieder ein außergewöhnliches Stück Kinounterhaltung geworden. Buch, Regie und die gut aufgelegten Darsteller ergeben zusammen einen Film, den man sich unbedingt auf der großen Leinwand ansehen sollte, egal ob man Tarantino-, Western- oder einfach nur Filmfan ist.