Donnerstag, 7. März 2013

Filmkritik: Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben (1964)

Stanislaw Jewgrafowitsch Petrow hat den Dritten Weltkrieg verhindert. Als der sowjetische Oberstleutnant 1983 auf einem Überwachungsschirm einen Angriff amerikanischer Atomraketen ausmachte, stufte er dies als Fehlalarm ein und verhinderte so den Ausbruch eines Atomkrieges zwischen den beiden Supermächten. Doch wenn Millionen von Menschenleben von der Entscheidung eines einzelnen Soldaten abhängen, was wäre, wenn so ein Mann plötzlich durchdreht? Dieser Frage ging Stanley Kubrick bereits 1964 in seiner Satire Dr. Seltsam Oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben nach.
 
Ripper und Mandrake unter Beschuss
Ripper (Sterling Hayden) und Mandrake (Peter Sellers)
© Sony Pictures Home Entertainment
Der amerikanische General Jack. D. Ripper (Sterling Hayden) ist überzeugt, dass es die Sowjets auf seine wertvollen Körpersäfte abgesehen haben.  Um diesem Treiben ein für alle Mal ein Ende zu setzen, setzt Ripper einen Notfallplan in Gang, der es ihm ermöglicht, ohne Erlaubnis des Präsidenten einen nuklearen Angriff auf die Sowjetunion zu starten. Der britische Austauschoffizier Mandrake (Peter Sellers) ist entsetzt und versucht verzweifelt, Ripper zu überzeugen, den Angriff abzubrechen, da dieser der einzige ist, der den hierfür benötigten Rückrufcode kennt.

Im War Room des Pentagon unterrichtet General Turgidson (George C. Scott) unterdessen den Präsidenten der Vereinigten Staaten (wieder Peter Sellers) von der Situation. Da der Angriff kaum noch aufzuhalten ist, sei es die sinnvollste Entscheidung, mit allen verfügbaren Flugzeugen und Raketen zuzuschlagen, um einen sowjetischen Gegenschlag so klein wie möglich zu halten. Der Präsident will davon nichts hören und befielt stattdessen, Rippers Militärbasis einzunehmen und von diesem die Herausgabe des Rückrufcodes zu erzwingen. Außerdem informiert er den russischen Präsidenten über die Position der einzelnen Flugzeuge und versucht diesen zu überzeugen, von einem Gegenangriff abzusehen, wenn es doch zu einem Bombenabwurf kommen sollte. Doch dies stellt sich als unmöglich heraus, denn die Russen haben eine vollautomatische „Weltuntergangsmaschine“ entwickelt, die beim Einschlagen der ersten amerikanischen Bombe sofort die gesamte Menschheit vernichten würde. Das Pentagon zieht verzweifelt den aus Deutschland stammenden Nuklearwissenschaftler Dr. Seltsam (auch Peter Sellers) zu Rate...

Der auf dem Roman Red Alert von Peter Bryant basierende Film war zuerst als Drama geplant. Doch schnell stellte sich heraus, dass es unmöglich war, aus diesem Material einen Film ohne unfreiwillig komische Züge zu entwickeln. So entschied sich Stanley Kubrick zum ersten und letzten Mal in seiner Karriere, eine Komödie zu drehen. Doch genauso wie es in Kubricks Dramen auch immer groteske und schwarzhumorige Elemente gibt, hat diese Komödie einen ziemlich düsteren Kern. Denn auch wenn die ganze Logik der nuklearen Abschreckung hier satirisch auf die Spitze getrieben wird, ist dies nur einen kleinen Schritt von der Realität entfernt, die Mitte der 60er Jahre ja bereits ziemlich groteske Züge angenommen hatte. Die Zahl amerikanischer und sowjetischer Atomwaffen zusammengenommen kam einer „Weltuntergangsmaschine“ tatsächlich schon ziemlich nahe und auch die Befürchtungen von Ripper, dass die Sowjets hinter der Fluoridierung des Trinkwasser stecken, um die Amerikaner impotent zu machen, basiert auf einer zu dieser Zeit weit verbreiteten Verschwörungstheorie.

Peter Sellers als Dr. Seltsam
© Sony Pictures Home Entertainment
So kann es bei einer falschen Erwartungshaltung an diesen Film durchaus zu Enttäuschungen kommen. Denn wirklich laut lachen muss man nur in den wenigsten Momenten, meistens macht sich eher ein Kopfschütteln breit über die verquere Logik, die hinter dem jahrzehntelangen Wettrüsten der beiden Supermächte steckte. Wenn es dann doch auch mal wirklich witzig wird, liegt das vor allem an den großartigen Darstellern. Wenn sich George C. Scott als der testosterongesteuerte General Turgidson immer wieder voller Euphorie über die Schlagkraft seiner Luftwaffe äußert, obwohl diese gerade drauf und dran ist, das Ende der Menschheit zu bewirken, ist das wirklich zu köstlich. Besonders beeindruckend ist aber freilich die Leistung von Peter Sellers, der es schafft, die drei von ihm dargestellten Figuren auf solch unterschiedliche Art und Weise zu verkörpern, dass man ohne entsprechendes Hintergrundwissen überhaupt nicht auf die Idee kommen würde, dass es sich um den selben Schauspieler handeln könnte. Und wenn Sellers dann am Ende als Dr. Seltsam verzweifelt versucht, seinen sich immer wieder selbstständig machenden rechten Arm vom Hitlergruß abzuhalten und den Präsidenten versehentlich als „Mein Führer“ anspricht, dann gibt es wirklich kein Halten mehr.

Insgesamt ist Dr. Seltsam eine gelungen Abrechnung mit der verqueren Logik des Kalten Krieges. Vor allem Peter Sellers und George C. Scott ernten mit ihrem Schauspiel viele Lacher, auch wenn einem diese wegen der ernsten Thematik manchmal regelrecht im Halse stecken bleiben. Freilich hätte dieser Film insgesamt noch witziger werden können, aber vielleicht schafft er es gerade deswegen, nicht nur zu unterhalten, sondern auch zum Nachdenken anzuregen.