Peter Sellers (1973) |
Vier Jahre zuvor. Humbert, ein aus England stammender Literaturprofessor, will in eine kleine Stadt in New Hampshire ziehen. Die Witwe Charlotte Haze (Shelley Winters) hat ein Zimmer zu vermieten, doch Humbert ist nicht besonders begeistert von der Aussicht, seine Zeit im Hause dieser Frau zu verbringen. Doch als er ihre jugendliche Tochter Lolita (Sue Lyon) im Garten erblickt, beschließt Humbert kurzerhand doch, das Zimmer zu nehmen. Während Charlotte sich Hoffnungen macht, Humberts Herz erobern zu können, verfällt dieser immer mehr ihrer schönen Tochter. Schließlich wird Humberts Begierde so groß, dass er sogar bereit ist, Charlotte zu heiraten, nur um in Lolitas Nähe zu sein. Doch als eines Tages Charlotte das geheime Tagebuch ihres neuen Gatten erblickt, ändert sich die Situation schlagartig...
Der Film Lolita hat ein bedauerliches, weil unnötiges Problem: Die beste Szene kommt direkt am Anfang. Der völlig betrunkene und ziemlich unzurechnungsfähig wirkende Quilty (wieder einmal genial verkörpert von Peter Sellers) ist ungemein witzig in seinem Bemühen, den seltsamen Fremden zum Wegstecken seines Revolvers zu bewegen, während gleichzeitig die Bedrohung durch Humberts Waffe für ungemeine Spannung sorgt. Die ganze Zeit wartet man als Zuschauer darauf, dass Humbert die Geduld verliert und wartet gleichzeitig vergebens darauf, dass Quilty endlich den Ernst der Lage erkennt. Ob Quilty einfach nur zu viel getrunken hat, oder ob er den Verstand verloren hat, beantwortet der Film übrigens nie. Die Ermordung selbst wird dabei sehr nüchtern und nicht besonders stilisiert inszeniert. Humbert schießt Quilty ins Bein und muss dann seinen Revolver nachladen. Schmerzhaft lange Zeit vergeht, während Quilty sich langsam hinter das Gemälde zieht und versucht, Humbert davon zu überzeugen, ihn zu verschonen.
Warum sich Nabokov, als er selbst das Drehbuch zu seiner Romanvorlage verfasste, dafür entschied, diese Szene nach vorne zu verschieben, erschließt sich mir nicht ganz. Natürlich bewirkt sie Suspense, denn man möchte wissen, was Quilty denn gemacht hat, um den Tod zu verdienen, aber auch die Dreiecksbeziehung zwischen Humbert, Charlotte und Lolita gibt genug Spannung her, sodass man diesen grandiosen Moment besser für das Finale aufgehoben hätte.
Der Rest des Filmes ist natürlich keineswegs schlecht, doch in den folgenden zwei Stunden wird leider nie wieder die Intensität dieser ersten Minuten erreicht. Die Stimmung schwankt etwas unentschlossen zwischen Drama, Komödie und Thriller, sodass man als Zuschauer nicht immer hinterherkommt. Vielleicht hätte der Verzicht auf Humor hier für eine größere Spannung sorgen können, auf der anderen Seite ist es bei so einem Thema natürlich auch verständlich, durch Humor eine Distanz zu den Geschehnissen deutlich machen zu wollen.
Bei der Stange halten einen hierbei vor allem die Schauspieler. James Mason verkörpert den gequälten, fast bemitleidenswerten Protagonisten gekonnt und auch die zum Zeitpunkt der Dreharbeiten 14-jährige Sue Lyon kann in ihrer Rolle als trotziger Teenager durchaus überzeugen. Peter Sellers Figur bleibt die meiste Zeit eher im Hintergrund, aber wenn Quilty auftritt, dann ist das immer ein Highlight, weil Sellers diese rätselhafte Figur gekonnt ambivalent anlegt: Nie ist man sich sicher, wie viel wir vom wahren Quilty zu Gesicht bekommen und wie viel gespielt ist und was eigentlich die Motive dieses Mannes sind. Lediglich Shelley Winters tendierte in einigen Szenen etwas zum Overacting, was aber auch am Drehbuch liegen kann, denn es ist gewiss nicht einfach, in einer Szene zu glänzen, in der man hysterisch einer Urne sein Herz ausschüttet.
Insgesamt ist Lolita ein zweischneidiges Schwert: Tolle Schauspieler und eine großartige Eröffnungsszene können nicht ganz darüber hinwegtäuschen, dass der Film seine Geschichte nicht so richtig in den Griff zu bekommen scheint und auch Kubrick selbst sah diesen Film später als eines seiner weniger gelungenen Werke an. Vielleicht ist Nabokovs Roman ähnlich unverfilmbar wie der thematisch verwandete Tod in Venedig von Thomas Mann, dessen Interpretation durch Luchino Visconti ich auf diesem Blog auch bereits besprochen habe:
➡ Filmkritik: Der Tod in Venedig (1971)
Urheber des Fotos von Peter Sellers ist Allan Warren. Es steht unter der Creative-Commons-Lizenz Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Unported (CC BY-SA 3.0).