Eine Geschichte, die fast jeder kennt. Ein 3D-Film kurz nach dem Hype um Avatar. Tim Burton als Regisseur und Johnny Depp als zweiter Hauptdarsteller. Es ist wohl kaum verwunderlich, dass Alice im Wunderland bei seiner Veröffentlichung im Jahr 2010 weltweit über eine Milliarde Dollar einspielte. Doch was hat dieser Film eigentlich noch mit seiner Vorlage zu tun? Dieser Frage gehe ich in meiner heutigen Filmkritik nach.
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Mia Wasikowska |
Die inzwischen 19-Jährige Alice Kingsleigh (Mia Wasikowska), die immer noch eine blühende Phantasie hat, kann sich mit den strengen Regeln des Viktorianischen Zeitalters einfach nicht anfreunden. Als ihr zudem bei einem Fest der unattraktive Lord Ascot (Tim Piggott-Smith) vor versammelter Gemeinschaft einen Heiratsantrag macht, weiß sie nicht, was sie antworten soll und flüchtet. Da erblickt sie plötzlich ein in eine Weste gekleidetes weißes Kaninchen und verfolgt das skurrile Wesen neugierig zu seinem Bau. Als sie hineinschauen will, stürzt sie hunderte Meter in die Tiefe. Unten angekommen findet Alice sich im Wunderland wieder, von dem sie einmal als Kind geträumt hat, an das sie sich nun aber nicht mehr erinnern kann. Der verrückte Hutmacher (Johnny Depp), die Haselmaus und andere Bewohner des Wunderlands machen Alice klar, dass sie dringend ihre Hilfe brauchen: Denn laut einer Prophezeiung soll sie diejenige sein, die das schreckliche Ungeheuer Jabberwocky tötet und damit die Terrorherrschaft der grausamen roten Königin (Helena Bonham Carter) beendet. Doch schnell kommen Zweifel auf, ob es sich bei der Besucherin wirklich um die richtige Alice handelt...
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Der Jabberwock |
Die letzte größere Kino-Verfilmung von Lewis Carrolls berühmten Kinderbuch erschien 1972. Da war es nur eine Frage der Zeit, bis sich ein Regisseur dem Stoff mal wieder annehmen würde. Doch Tim Burton hatte kein Interesse daran, die Geschichte einfach nochmal zu erzählen, sondern entschied sich dafür, eher eine Art Fortsetzung zu drehen. Hierfür nutze er nicht nur Figuren aus dem ursprünglich 1865 erschienenen
Alice im Wunderland sondern auch aus der Fortsetzung
Alice hinter den Spiegeln (1871), obwohl es sich hier eigentlich um zwei unterschiedliche Welten handelt. Aus letzterem Buch entstammt auch die Idee für die Geschichte: In ihm kommt das Nonsens-Gedicht
Jabberwocky vor, in dem es darum geht, wie ein Held dem schrecklichen Jabberwock den Kopf abschlägt. In der Original-Illustration von John Tenniel sieht es dabei tatsächlich so aus, als wäre es Alice, die sich dem schrecklichen Ungeheuer stellt und eine Abwandlung dieses Bildes wird im Film dann auch als Prophezeiung verwendet.
Die Zusammenführung der beiden Bücher führt aber leider zu einigen Ungereimtheiten. Am deutlichsten ist dies an der Figur der roten Königin zu sehen. Diese basiert auf zwei Figuren der Vorlagen: In
Alice im Wunderland gibt es die grausame Herzkönigin, die zusammen mit dem Herzkönig über eine Armee von Spielkarten herrscht und bei jeder Gelegenheit die Enthauptung irgendeines Anwesenden fordert. In
Alice hinter den Spiegeln, in dem nicht das Kartenspiel, sondern das Schachspiel als Grundmotiv dient, gibt es die Figur der roten Königin, die die Widersacherin der weißen Königin ist. Beide verfügen über eine Armee von Schachfiguren. In Tim Burtons Version finden wir nun eine Mischung, die nur wenig Sinn ergibt: Die böse Königin lebt in einem Schloss, das überall mit Herzmustern geschmückt ist, hat sogar einen herzförmigen Kopf und befielt eine Armee Herz-Spielkarten. Dennoch wird sie die rote Königin genannt. Ihre Widersacherin ist ihre Schwester, die weiße Königin (Anne Hathaway), die über eine Armee von weißen Schachfiguren herrscht. Spätestens wenn am Ende des Films Schachfiguren gegen Spielkarten in den Krieg ziehen, wird deutlich, dass das irgendwie keinen Sinn ergibt.
Auch wenn Tim Burtons Film auf Kinderbüchern basiert, ist die kindliche Märchenhaftigkeit der Vorlage hier nirgends zu finden. Stattdessen handelt es sich im Endeffekt um einen typischen Fantasy-Film, in dem die Heldin einige Hindernisse überwinden und genug Selbstvertrauen sammeln muss, um letztendlich in einem spektakulären Finale siegreich zu sein. Auch wenn die meisten Figuren aus Carrolls Büchern auch im Film einen Auftritt haben, gibt es nur an wenigen Stellen die typischen von Wortspielen geprägten Gespräche und skurrilen Situationen, die die Bücher so einzigartig machen. Stattdessen ist Burtons Film vor allem auf spektakuläre Effekte und Action-Szenen ausgelegt, ohne sich viel darum zu bemühen, dass einem die gezeigten Figuren auch ans Herz wachsen können. Dass 90 % der Bilder computeranimiert sind und man es ihnen leider auch deutlich ansieht, macht es kaum leichter, mit der Geschichte warmzuwerden. Und wenn die eigentlich sehr guten Schauspieler hinter den ganzen digitalen Veränderungen ihrer Gesichter kaum noch zu erkennen sind, hätte man vielleicht auch lieber gleich einen Animationsfilm drehen sollen.
So sind insgesamt die einzigen Momente, die mir in Alice im Wunderland gefallen haben, diejenigen, die ziemlich direkt aus der Vorlage entnommen wurden: Wenn die Königin mit einem Flamingo als Schläger und einem Igel als Ball Cricket spielt und bei jeder Gelegenheit „Ab mit seinem Kopf!“ schreit, dann ist das immer noch witzig. Aber dann kann man eigentlich auch lieber nochmal das Buch lesen, anstatt sich Burtons effekthascherische Verfilmerung anzusehen.
Urheber des Fotos von Mia Wasikowska ist Tomdog und es wurde bearbeitet von RanZag. Es steht unter der Creative-Commons-Lizenz
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